Der «Alte Fritz», der Preussenkönig Friedrich der Grosse (1712-1786) soll einmal gesagt haben: «Lieber Gott, falls es dich gibt, rette meine Seele, falls ich eine habe.» Dieses Bonmot ist unser Ausgangspunkt: Haben wir eine Seele? Fragt man einen Hirnforscher, dann antwortet der vermutlich: Eher nicht. Das Christentum hingegen behauptet nicht nur, dass wir beseelt sind, sondern dass unsere Seele auch noch unsterblich sei. Naturwissenschaft und Glaube: wie passt das zusammen? Das neue Wort zum Sonntag macht einen Vorschlag.
Das Video
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Die Sicht des Physikers über die Seele
Dr. Stefan Klein, geboren 1965 in München, ist Physiker, Philosoph und der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er hat ein lesenswertes Essay geschrieben mit dem Titel: «Hat der Mensch wirklich eine Seele?» Im Unterschied zu anderen Naturwissenschaftern verzichtet Klein nicht auf den Begriff der Seele. Aber er begreift die Seele anders als das Christentum. (Mehr dazu im obgenannten Essay.)
Der Begriff «Seele» ist unklar
Darum ist die Idee einer Seele so verführerisch. Selbst wenn wir es wollten, könnten wir uns kaum gegen sie wehren. Dabei ist noch nicht einmal klar, was genau wir mit diesem Begriff eigentlich meinen. Er hat fast so viele Bedeutungen, wie sich Philosophen auf der Suche nach dem innersten Wesen des Menschen gemacht haben. Sie alle schwingen mit, wenn wir von der „Seele“ reden.
Stefan Klein
Die Seele ist nicht da, sie entsteht fortwährend
Die Seele ist nicht da, sie entsteht fortwährend. Sie mag uns zwar keine Untersterblichkeit garantieren; doch dafür begegnen wir in ihr unserem eigenen Lebendigsein. In dieser Erkenntnis liegt eine enorme Befreiung: Wir müssen nicht auf den Tod warten, um das zu erfahren, was das Christentum mit der Geschichte der Auferstehung umschreibt.
Stefan Klein
«Seelenfenster» im Kanton Wallis
Im Schweizer Kanton Wallis gibt es Häuser mit einem sogenannten Seelenfenster. Dieses Fensterchen wird geöffnet bei Todesfällen, damit die Seele des bzw. der Verstorbenen aus dem Haus entschwinden kann. Das kann als Aberglaube abgetan werden, ist aber, bei genauerem Hinsehen, nichts anderes als eine Visualisierung der Idee, dass die Seele so etwas wie die Identität eines Menschen ist. Beim Tod entschwindet diese Identität anderswohin. Mit einem Seelenfenster wird diese Vorstellung anschaulich. Hier ein kurzes Video dazu.
Die Seele im Christentum
Anders als der Physiker Klein beschreibt das Christentum die Seele als etwas, das durchaus «immer da» ist. Von der Zeugung an und über den Tod hinaus an gehört die Seele unverzichtbar zum Menschsein . Sie repräsentiert die immerwährende, unveräusserliche und nicht mehr endende Identität des Menschen.
Seele ist das Lebensprinzip im Menschen
In der Heiligen Schrift bedeutet der Ausdruck Seele oft das Leben des Menschen oder die ganze menschliche Person. Er bezeichnet aber auch das Innerste im Menschen, das Wertvollste an ihm, das, wodurch er am meisten nach dem Bild Gottes ist: ,,Seele” benennt das geistige Lebensprinzip im Menschen.
Katechismus der katholischen Kirche, § 363
Seele ist die «Form» des Leibes
Die Einheit von Seele und Leib ist so tief, daß man die Seele als die ,,Form” des Leibes zu betrachten hat, das heißt die Geistseele bewirkt, daß der aus Materie gebildete Leib ein lebendiger menschlicher Leib ist. Im Menschen sind Geist und Materie nicht zwei vereinte Naturen, sondern ihre Einheit bildet eine einzige Natur.
Katechismus der katholischen Kirche, § 365
Gott schafft die Seele, nicht die Eltern. Die Seele ist unsterblich
Die Kirche lehrt, daß jede Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen ist – sie wird nicht von den Eltern ,,hervorgebracht” – und daß sie unsterblich ist: sie geht nicht zugrunde, wenn sie sich im Tod vom Leibe trennt, und sie wird sich bei der Auferstehung von neuem mit dem Leib vereinen.
Katechismus der katholischen Kirche, § 366
Geist und Seele werden manchmal unterschieden
Manchmal wird die Seele vom Geist unterschieden. So betet der hl. Paulus: ,,Gott … heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid” bei der Wiederkunft des Herrn (1 Thess 5,23).
Katechismus der katholischen Kirche, § 367
Im Tod trennt sich die Seele vom Leib
Durch den Tod wird die Seele vom Leibe getrennt; in der Auferstehung aber wird Gott unserem verwandelten Leib das unvergängliche Leben geben, indem er ihn wieder mit unserer Seele vereint. Wie Christus auferstanden ist und immerdar lebt, so werden wir alle am Letzten Tag auferstehen.
Katechismus der katholischen Kirche, § 1016
In der Alten Kirche (bis ca. 500 n.Chr.) haben verschiedene sogenannte «Kirchenväter» die Grundlagen der christlichen Lehre mit beeinflusst. Einer davon war Tertullian (160-220 n.Chr., in Karthago im heutigen Tunesien). Tertullian hat eine Schrift verfasst über die Seele, «de anima».
Bereits das Ungeborene ist beseelt
Die Seele tritt nicht erst bei der Geburt des Menschen zu seinem Leibe hinzu, sondern die Erfahrung des gewöhnlichen Lebens sowie die Arzneiwissenschaft beweisen, dass schon die Frucht im Mutterleibe empfindet, also auch lebt und daher ihre Seele hat.
Tertullian, «de anima, 25. Cap.»
Leben ist atmen. Beides kommt aus der Seele.
Was heisst nicht leben? Keinen Hauch mehr aus sich ausstossen, denke ich. So würde ich antworten müssen, wenn atmen und leben nicht ein und dasselbe wäre. — Der Tote wird keinen Hauch mehr aus sich ausstossen, der Lebende wird also einen solchen ausgehen lassen. — Ja, aber auch der Atmende wird einen Hauch ausstossen, folglich wird der Lebende auch atmen. Wenn beides ohne die Seele vor sich gehen könnte, so würde der Seele nicht das Atmen, sondern bloss das Leben zuzuschreiben sein. Aber leben ist atmen und atmen ist leben. Also ist das Leben und Atmen zusammen miteinander Sache dessen, dem das Leben eignet, d. h. der Seele.
Tertullian, «de anima, 10. Cap.»
Aristoteles: «Über die Seele»
…und zum Schluss:
«Soul» – die Seele gibt’s auch als Musik. Afroamerikanische Musik seit den 1960er Jahren
Zum Schluss etwas ganz anderes! «Seele» ist nicht nur philosophisch und theologisch interessant, sondern auch musikalisch. Seele, auf englisch «Soul» bezeichnet eine der einflusreichsten Strömungen der afroamerikanischen Musik. Soul entwickelte sich Ende der 1950er Jahre aus Rhythm and Blues und Gospel. In den 1960er Jahren war Soul fast das Synonym für schwarze Popmusik. (Mehr dazu z.B. auf Wikipedia.)
Grossartige Soul-Musiker wie Aretha Franklin und Ray Charles haben unsterbliche Songs geschrieben, hier zum Beispiel der Song «Think» aus dem Film «The Blues Brothers»:
Und hier nochmals Aretha Franklin mit «I Say a Little Prayer»:
Und hier Ray Charles mit «Hit the Road, Jack»…
…und «Giorgia On My Mind»
Soul lebt! Die Musik entwickelt sich weiter, auch die jüngste Künstlergeneration sorgt für Innovation und Hits. Hier ein Querschnitt von 2020.